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Update zur Inflationsforschung Veranstaltungsbericht zum Regionalabend Berlin-Brandenburg am 17. Januar 2023

An diesem „Online(Über)-Regionalabend“ verfolgten mehr als 80 Teilnehmer und Teilnehmerinnen zwei spannende Perspektiven zur Inflationsforschung, mit denen die Regionalgruppe Berlin-Brandenburg gleich zu Beginn des neuen Jahres Orientierung zu einem aktuell hoch relevanten Themenfeld bieten wollte.

Dirk Ziems, Managing Partner bei concept m, half dabei, die Psychologie der Inflation besser zu verstehen. Auf der Basis von 90- bis 120-minütigen Tiefeninterviews, im Rahmen des Panels „Deutschland Psychogramm“, konnten die tieferen psychologischen Beweggründe hinter der Verarbeitung des Inflationsgeschehens ermittelt werden. Im Rahmen dieser Tiefeninterviews beschreiben die Befragten ihr Einkaufsverhalten und -erleben und erläutern dies auch anhand ihrer Kassenbons.

Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Konsumwelt gespalten ist – zwischen der Maximierungskultur auf der einen und der Rückbesinnungskultur auf der anderen Seite. Äußere Krisen verursachen dabei eine Orientierungskrise des Konsumenten/der Konsumentin, in der die Welt „wackelig“ erscheint. Dirk Ziems zeichnete die Chronologie der Inflation vom Kriegs- zum Inflationsschock, über die Inflationsgewöhnung bis zum Höhepunkt der Eskalation im Herbst 2022 nach. Dabei ergab sich ein „Angstkreis“ von Schreckensbildern, Re-Stabilisierung durch Rituale, Verdrängung bis hin zu Destabilisierung, auf den verschiedene Inflationstypen unterschiedlich reagierten. Dirk Ziems stellte auf lebendige Weise jeweils eine Vertreterin der „Inflations-Resilienten“ und der von „Inflationsnot“ Betroffenen vor, um zu zeigen, dass diese zwar mit unterschiedlich starken Einschränkungen konfrontiert sind, sich jedoch beide Typen Ängsten stellen müssen. Zusätzlich seien die Typen „Inflations-Hysterie“ und „Inflations-Management“ zu unterscheiden, die auf dieselben Herausforderungen entweder annehmend gestaltend oder ablehnend lamentierend reagieren.

Es zeigten sich zudem unterschiedliche Inflations-Auswirkungen in verschiedenen Konsumfeldern – weniger stark bei Luxusprodukten, stärker bei FMCG, Kultur und Freizeit und besonders stark bei Mode und Investitionsgütern. Bei verschiedenen Produkten und Warengruppen sei eine unterschiedliche Inflations-Dramatik nachvollziehbar, je nachdem, ob diese einen Grundbedarfs- oder Verwöhncharakter haben, generische Gattungsprodukte oder unique Marken sind bzw. einen hohen oder geringen „Talk-Value“ besitzen. Abschließend zeigte Dirk Ziems an Beispielen, wie das Marketing auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Inflationstypen eingehen kann, um Kaufrückgänge abzufedern.

Hanna Kehl, Expertin für strategische Shopper-Insights bei der GfK, zeigte im Anschluss die konkreten Reaktionen der Shopper anhand von FMCG-Kaufverhaltensdaten im Handel auf. Ihr Impuls „Vom Hamster zum Sparfuchs“ basierte auf aktuellen Daten des FMCG-Haushaltspanels, das mit Hilfe von 30.000 repräsentativ ausgewählten Panelisten deutschlandweit zusätzlich zu Einstellungen, Medien- und Freizeitverhalten ermittelt, was an FMCG-Artikeln wo, zu welchen Preisen, wie gekauft wird.

Inhaltlicher Ausgangspunkt war für Hanna Kehl die stark negative Entwicklung des Konsumklimas bis in den Herbst 2022 hinein. Die Verbraucher/innen reagierten häufiger mit einem Anstieg des Preisbewusstseins, so dass die Preis- die Qualitätsorientierung seit Jahren erstmals wieder dominiere. Dabei zeigte sich bei allen Wohlstandsgruppen ein höheres Preisbewusstsein, wenn auch am meisten bei den von Inflation am stärksten Betroffenen. Während von 2019 bis 2021 nur ein Preisanstieg von bis zu vier Prozent bei FMCG-Barcode-Artikeln beobachtbar war, stieg der Preis im November 2022 bis auf 14,3 Prozent.

Dabei sei die Tendenz weiter steigend, wie Hanna Kehl anhand der sichtbaren Treppenfunktion ableitete. Die höheren bezahlten Preise entstünden in erster Linie aufgrund der Teuerung – nicht etwa durch Trading-Up oder einem Sortimentswechsel, die negativ gerichtet seien. Konsumenten/innen befinden sich nach einem Jahr der „Premiumisierung“ während der Coronapandemie in einem Dilemma. Als kreative Konsumentin bzw. kreativer Konsument wird versucht den eigenen Lebensstandard aufgrund von klugem Management zu halten. Dabei werde z. B. das Bioprodukt im Discounter gekauft, die Marke gezielt im Rahmen einer Promotionaktion erworben oder auf die Handelsmarken zurückgegriffen, die derzeit tatsächlich am stärksten profitierten. Zudem könnten Discounter durch Einkaufsstättenwechsel, mehr One-Stop-Shopping und dementsprechend von einer höheren Bedarfsdeckung insbesondere vom Fachhandel zugewinnen. Anhand der „Casa Butter“ zeigte Hanna Kehl die Auswirkungen einer höheren Promotiontätigkeit und -sensibilität auf. Inzwischen sei der Durchschnittspreis von Markenbutter durch preisaggressive Promotions unter den Preis der Handelsmarken gesunken.

Insgesamt sei der Preis laut Hanna Kehl zwar wichtig, jedoch seien die Verbrauchertrends Nachhaltigkeit und Convenience weiterhin gewachsen. Unternehmen, die mit Emotionalisierung und Responsibilisierung am besten auf die Verbraucher eingingen, konnten am meisten in der Krise punkten. Dies sei die „Terrestrische Wende“: „Kultur-resonante“ Marken versus „Industriemarken“ stünden weniger unter einem Preis- und Promotiondruck.

Nach diesen spannend aufbereiteten Impulsen folgte die Diskussion mit dem Publikum. Zusammen bestand Einigkeit, dass die Inflation noch eine gewisse Zeit relevant bleiben würde. Dirk Ziems attestierte Marken und Händlern prinzipiell ein gutes und besonnenes Verhalten. In jeder Krise bliebe jedoch auch etwas hängen – zum Beispiel die Erfahrung, dass Handelsmarken gute Qualität bieten könnten. Aus diesem Grund sei es wichtig, mit dem Shopper in Kontakt zu treten, um relevante Mehrwerte der Marke zu vermitteln.

Unter den Teilnehmenden des BVM-Regionalabends wurde zudem eine Umfrage durchgeführt, mit der beantwortet werden sollte, inwiefern die Teilnehmenden persönlich bei ihrer Arbeit von der Inflation betroffen seien. Die Hälfte der Teilnehmenden stimmte zu, dass sich durch das Inflationsgeschehen neuer Forschungsbedarf ergeben würde, nahezu jede bzw. jeder Zweite rechnet mit einem größeren Kosten- und Effizienzdruck. Ein Drittel gab an, dass sich die Inflation gar nicht direkt auf die eigene Arbeit auswirke.

Insgesamt zeigte das positive Feedback an Dierk Ziems und Hanna Kehl sowie im Chat, dass viele Teilnehmer/innen dankbar waren für diese perspektivenreiche Orientierungsveranstaltung zum Thema Inflation.

Matthias Wenzel und Sindy Krambeer
Regionalleitung Berlin-Brandenburg

Abbildung: Umfrageergebnis unter den Teilnehmenden des Regionalabends zur Frage, wie sich Inflation auf die Arbeit auswirkt